Ich hab’s doch nochmal versucht – und endlich geschafft! 2014 in der Mörderflaute 20 Meilen vor dem Ziel aufgegeben, 2015 nicht angetreten – die Silverrudder Challenge beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Es ist einfach die Idee, die Herausforderung – einhand rund um Fyn, 134 Meilen, keine Verrechnung, keine Bahnmarken, keine besonderen Regeln. Das Rennen ist immer größer geworden – was 2012 mit 15 Booten begann, ist 2016 auf 431 Schiffe gewachsen. Meine Klasse „Keelboat Medium“ ist mit 120 Skippern die größte. Die Anspannung vor dem Start mit so vielen Schiffen im engen Svendborgsund mit seinem Strom legt sich ein klein wenig, als bekannt gegeben wird, dass die Klasse in zwei Starts aufgeteilt wird – die langsameren 60 Boote starten um 09:30 Uhr als „Keelboat Medium 1“ und die schnelleren 60 Schiffe um 10:00 Uhr als „Keelboat Medium 2“. In der zweiten Gruppe starten auch alle X-99. Allein davon haben 19 gemeldet, die größte Einheitsgruppe im Feld. Unter anderem dabei John Morsing auf Nyx Raymarine, der mehrfache Silverrudder-Sieger, und Kim Henriksen auf Bluenose, auch immer vorn zu finden.
Auch aus der Greifswalder und Stralsunder Region sind einige am Start: Karl Dehler auf der Dehler 38c Sporthotel, Rebecca Dehler auf der Varianta 18 Abi 09, Thomas Hunfeld mit der JPK 9.60 Thusnelda 3, Samer Shehadeh auf der Dehler 28 Big Lebowski und Thomas Schmidt mit der Hanse 370 Sprookje. Am Abend vor dem Start ist der Hafen von Svendborg völlig überfüllt.
Nach dem Aufkleben der Bugnummern (ich starte mit der 277) und dem Anbringen des GPS-Trackers treffe ich beim Skippermeeting Christian Soyka, den langjährigen X-99-Champion, der mit einem Trimaran der Mittelmanns-Werft antritt. Er wirkt völlig entspannt, während sich meine Aufregung langsam zu einem größeren Knoten im Magen entwickelt… Die Wettervorhersage sieht ganz gut aus – 3-5 Windstärken aus westlichen Richtungen, Sonne, warm, bester Spätsommer. Beim Auslaufen am Freitag früh vor dem auf 10:00 Uhr angesetzten Start kommt zwar ein kleiner Regenguß von oben, das ist aber auch der einzige auf der ganzen Runde.
Gestartet wird diesmal nach Osten, Fyn bleibt an Backbord. Der Strom setzt ebenfalls nach Osten, wir müssen aufpassen, nicht schon vor dem Startsignal über die Linie zu treiben. Ich positioniere mich direkt neben der Nyx an der Steuerbordseite der Linie, und komme ganz gut los.
Das Dumme bei einem Vorwind-Massenstart ist nur, dass die ersten perfekt in der Abdeckung der hinteren stehen… so schiebt sich das Feld schön eng zusammen 🙂 Die Veranstalter sind auf einem RIB unterwegs und schicken die gesamte Startphase aller Klassen per Livestream-Video ins Netz. Hier der Replay (Swash Buckler am Start bei 1:58:50 im Bild):
Nach der ersten Kurve des Svendborgsunds entzerrt es sich langsam etwas, ich habe jetzt die Bluenose und Gerd-Jan Reimer auf der X-99 Livet genau hinter mir. Die beiden werden mich noch das ganze Rennen beschäftigen… 🙂
Am Ausgang des Svendborgsunds geht dann der Spi hoch. Damit bin ich so beschäftigt, dass ich erst zu spät merke, dass Livet auf der Leeseite neben mir etwas höher fährt. Es gibt einen leichten Kontakt – nochmal sorry, Jan! Nach einer Halse geht es zwischen Fyn und Langeland nordwärts Richtung Große Belt-Brücke. Mit Schiebestrom von hinten läuft Swash Buckler konstant 7-8 Knoten.
Der Wind dreht allerdings bald von Südwest auf West, so dass ich mit Spi ca. 20 Grad zu tief fahre. Also hoch mit der Genua und den Spi runter. Das fährt auch ganz gut, aber ich kriege Übermut und denke, das müsste doch auch mit Gennaker gehen. Ich schlage ihn also an, ziehe ihn hoch und die Genua wieder runter, aber bekomme die Tüte beim besten Willen nicht zum stehen. Merke: 70 Grad AWA bei 10-12 Knoten ist keine Gennakersituation. Also gut, die Genua übernimmt wieder. Das Ganze hat allerdings ordentlich Meter gekostet, insbesondere Livet ist wieder da.
Die Brücke passieren wir gegen 13:45 Uhr. Nyx und Bluenose knapp voraus, Livet dicht hinter mir. Ich muss daran denken, wie ich genau an dieser Stelle vor zwei Jahren mangels Wind aufgegeben habe – damals ging es rechts um Fyn herum, und von hier waren es nur noch 20 Meilen bis ins Ziel. Nun rauschen wir hier mit knapp 8 Knoten Fahrt entlang… Ab hier folgt ein Am-Wind Schlag bis zur Passage zwischen Fyn und Romsø. Als wir Romsø erreichen, habe ich mich gerade so an Bluenose vorbei geschoben, Livet sitzt mir nach wie vor im Nacken.
Da für die anstehende lange Kreuz ab der Nordost-Ecke bei Fyns Hoved mehr Wind angesagt ist, wechseln wir alle von der Genua auf die Fock. Also die Fock nach oben zerren, anschlagen, die Genua runter, schnell abschlagen, unter Deck stopfen und fix hoch mit der Fock. Als wir Fyns Hoved gegen 17:00 Uhr passieren (Nyx knapp voraus, Bluenose und Livet direkt hinter mir), ist sofort eine kurze, steile Welle da und die Kreuz beginnt. Mehr als 5,5 bis knapp 6 Knoten sind jetzt nicht mehr drin. Um der Welle zu entgehen, fährt fast das gesamte Feld bis dicht unter Land südöstlich von Æbelø und kreuzt dort mit kurzen Schlägen am Strand entlang. Der Wind hat jetzt auf 15-16 Knoten aufgefrischt, das lässt sich noch ganz gut ohne Reff segeln. Als wir an der Küste ankommen, wird es dunkel. Bluenose und Livet sind immer noch hinter mir, aber es bleibt eng.
Nach mehreren Schlägen ist Æbelø um kurz nach 21:00 Uhr passiert. Jetzt ist es dunkel, aber der Sternenhimmel über mir, das Meeresleuchten und die unzähligen Positionslichter rundherum produzieren eine unglaublich schöne Stimmung. Livet hat sich leider knapp an mir vorbei gearbeitet, aber Bluenose segelt immer noch hinter mir. Die Kreuz geht weiter bis zum engen Nadelöhr bei Middelfahrt. Wo die Konkurrenten sind, sehe ich nicht mehr, ich konzentriere mich jetzt nur noch darauf, in der Welle Speed und Höhe zu halten. Um 00:30 Uhr ist Middelfart erreicht, und es bleibt eine Kreuz durch die Engstelle hindurch. Auf einmal ist Bluenose wieder da, Kim passiert auf dem anderen Bug dicht hinter meinem Heck. Der Wind nimmt jetzt deutlich ab, zwischen den beiden Brücken wechseln Bluenose und ich deshalb schnell wieder auf die Genua. Bei 3-6 Knoten Wind ist es jetzt ein Geduldsspiel, das Boot in Fahrt und in die richtige Richtung zu halten.
Erst gegen 03:00 Uhr haben wir die Engstelle passiert, sind im Kleinen Belt und haben wieder freien Wind. Ich bin wieder knapp vor Bluenose, und jetzt geht es mit einem Anlieger und leicht geöffneten Segeln Richtung Süden. Bei Bågø hat sich Bluenose wieder irgendwie vorbei gearbeitet, auch die X-99 Zuxu hat uns beide passiert. Das sehe ich allerdings erst nach dem Rennen, als ich mir das Replay des GPS-Trackers anschaue. Bis Lyø geht es jetzt mit offenen Segeln und 10-12 Knoten Südwestwind immer nur geradeaus. Steuern, trimmen, steuern, trimmen. Dazu kommt jetzt die Müdigkeit, die sich aber mit einem starken Kaffee und Traubenzucker schnell wieder vertreiben lässt. Gegen 06:30 Uhr am Samstag früh setzt langsam die Dämmerung ein, und als gegen 07:00 Uhr Lyø erreicht ist und der Spinnaker wieder oben ist, geht die Sonne genau vor dem Bug auf – eine herrliche Atmosphäre.
Von hier sind es jetzt noch ca. 14 Meilen ins Ziel. Schon jetzt macht sich eine irre Freude breit. Ich versuche sie zu bremsen und mir zu sagen, Du bist noch lange nicht im Ziel – aber das funktioniert nicht 🙂 Im Svendborgsund steht leider der Strom gegenan, aus den 5-6 Knoten auf der Logge werden so nur 3-4 Knoten auf dem GPS. Egal, um 10:13 Uhr, nach 24 Stunden und 13 Minuten passiere ich mit Spi die Ziellinie und bin total glücklich – endlich geschafft!
Die Nyx war 32 Minuten früher im Ziel und fährt den Sieg in unserer Klasse ein, tillykke John! Zuxu ist 11 Minuten vor mir und auf dem 10. Platz, Kim mit Bluenose 6 Minuten vor mir auf Platz 11. Livet ist dicht hinter mir auf Platz 15. Für mich wird es der 13. Platz und der 4. Platz unter den X-99 – ich bin absolut zufrieden mit diesem Resultat.
Hier die Ergebnisliste unserer Klasse „Keelboat Medium“ und hier die Gesamtliste über alle Klassen. Das Rennen kann hier im TracTrac-Replay nachverfolgt werden. Eine Bildergalerie gibt’s hier, ein Video ist in Arbeit.
Und nicht zuletzt: Ein Riesendank an Ralf, Lars, Michael, Maria, Gunthi, Basti und Alex, die Swash Buckler nach Svendborg und zurück gesegelt haben – ohne euch hätte das nicht geklappt!
Und hier ist das offizielle Video des Veranstalters:
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By: Silverrudder: Persönliche Rückblicke der Solo-Helden – Die besten Berichte | SegelReporter on 6. Oktober 2016
at 10:15 am
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Hallo Micha,
schöner Bericht! Ich war mit „Sprookje“ im Übrigen als Stralsunder auch mit dabei. Da ich aber die große Brückendurchfahrt genommen habe, hat es mich schon im Großen Belt mächtig ausgebremst…..
Viele Grüße
Thomas Schmidt
By: Thomas Schmidt on 5. Oktober 2016
at 9:04 am
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Hallo Thomas,
ups, hatte gar nicht gesehen, dass Du dabei warst – es waren so viele 🙂
Besten Gruß,
Micha
By: SwashBuckler on 5. Oktober 2016
at 10:44 am
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Chapeau! Ich habe mich bislang (noch) nicht getraut. Darf ich fragen, welchen Pinnenpiloten du nutzt und wie dein Energiemanagement aussieht? Grüße aus Berlin von der GanXter, Thorsten
By: Thorsten on 29. September 2016
at 6:05 pm
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Danke, Thorsten! Ich hab den Raymarine SPX-5 Pinnenpiloten, den Vorgänger des aktuellen EV-100-Modells. Zur Stromversorgung eine 75 AH-Batterie. Aber auch nicht viele Verbraucher – nur die Instrumente, den AP und nachts die Posis (LED). Den AP hab ich aber im Wesentlichen nur in den Manövern benutzt. Hatte noch eine zweite, kleine 34 AH-Batterie, auf die ich zur Not hätte umschalten können, war aber nicht nötig. Gruß, Micha
By: SwashBuckler on 29. September 2016
at 8:09 pm
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